MIT ALLEN MITTELN
Von Klaus Fengler
MIT ALLEN MITTELN
Jetzt sitze ich auf meinem aufgeblasenen Luftkissen, am Wasser, im nassen Kies. Meine Fototasche wasserdicht eingepackt zwischen meinen Beinen. Wie musste ich die Schenkel unter die Gurte verspannen? Wie hatte mir Holger das gezeigt?
Na, das wird schon gut gehen. Jetzt muss ich mich nur noch irgendwie abstoßen, damit ich mit meinem kleinen Gummiboot, nein meinem „Packraft“ ins freie Wasser der Tiroler Achen komme und ich den anderen 3 folgen kann.
Ich hatte Holger Heuber angerufen und wollte etwas über Seekajaks erfahren. Holger war erst mit dem Seekajak auf dem Chiemsee unterwegs und hatte mir den Vorschlag gemacht, wir könnten doch die Tiroler Achen mit Packrafts hinunter paddeln. Da braucht man nur das Tal hinein laufen und paddelt dann wieder zum Ausgangspunkt zurück. In diesen Zeiten von Corona & Co braucht man nicht sonst wo hinreisen. Wir haben doch alles „vor der Haustür“. Ja das stimmt. In Deutschland gibt es so viele schöne Ecken und Plätze, da können wir unser Abenteuer auch hier erleben.
Gesagt getan, wir fanden einen Termin. Neben Holger wollten Christoph und Christian mit kommen.
Die letzten Tage hatte es wie aus Kübeln gegossen, die Wetter-App hatte besseres Wetter vorher gesagt. Wir wollten es wagen...
Am Nachmittag fahre ich nach Marquartstein. Dem Ausgangspunkt für die Tour. Noch hängen dicke Regenwolken tief in den Chiemgau Bergen. Nach einem Cappuccino im Cafe Maquart packen wir unsere Ausrüstung zusammen. Mein Blick hinüber zur Tiroler Achen macht mir ein mulmiges Gefühl im Magen. Braune Wassermassen schießen am Parkplatz vorbei. Da sollen wir morgen paddeln? Holger erahnt meine Gedanken und beruhigt meine Bedenken, ach morgen sieht der Wasserstand wieder viel Besser aus. Ok, er als Paddel-Profi wird es ja wissen. Die Sachen sind fertig gepackt, Schlafsack, Isomatte, Tüten-Essen, Kocher, Tarp-Zelt, ein paar Ersatzklamotten, das Nötigste ist dabei.
Natürlich jeder mit seinem Packraft, Paddel, Helm, Schwimmweste, wasserdichte Beutel. Da kommt etwas zusammen an Volumen und Gewicht. Aber mehr als 10-13 kg hat nicht jeder auf dem Rücken. Sogar 2 Flaschen guter Rotwein sind dabei! Etwas Gemütlichkeit wollen wir am Abend haben in unserem Biwak. Ich habe noch keine Ahnung wo es überhaupt richtig hingehen soll...
Kaum setzen wir uns auf unsere Mountainbikes öffnet der Himmel alle Schleusen und es schüttet aus allen Wolken. Oh nee, muss das gleich am Anfang so losgehen? Schon nach 300 m sind wir bis auf die Knochen patsch nass. Der warme Regen ist warm und nicht unangenehm. Christoph ist Gebietskenner und auf kleinen Feldwegen und Nebenstrecken radeln wir am Wössener Bach entlang, am Wössener See vorbei. Nach Regen kommt die Sonne! Die Wetter-App hält was sie verspricht und die Sonne kommt durch die Wolkenschichten.
Auf einem kleinen Trail fahren wir bergauf bergab, etwas mühsam, aber super schön!
An einem kleinen Wald-Parkplatz hinter dem Örtchen Hinterwössen lassen wir unsere Mountainbikes zurück. Diese wollen wir am nächsten Tag wieder abholen.
Die warmen Sonnenstrahlen lässt den nassen Wald dampfen, überall kommen kleine Bäche und Wasserrinnsale aus den Hängen. Ein Wanderweg führt entlang am Schlierbach. Gemütlich geht’s bergauf. Bald verlassen wir diesen Weg und Christoph führt uns auf kleinen Pfaden immer weiter hinauf durch den Wald. Ich fasse es nicht. Wie im Urwald sieht es hier aus. Alte umgestürzte Baumstämme, Moosbewachsen, Farnpflanzen, ein modriger Geruch in der Luft, wie in einem Märchenwald. Wenn jetzt noch hinter der nächsten Ecke die 7 Zwerge auftauchen, ich würde es glauben. Nach ca. 3 Stunden öffnet sich der Wald und der kleine Weg führt über Weidewiesen zu einer kleinen Alm. Wenn wir Glück haben, so Christoph, ist die Sennerin heute auf der Alm und wir bekommen noch ein Bier serviert. Mit Sack und Pack schlagen wir an der Stoibenmöseralm auf. Wir haben Glück! Es brennt Licht und die Sennerin ist auf der Alm. Sogleich sieht es etwas wild und wüst aus auf der Bank und dem Tisch vor der Hütte. Überall legen wir unsere noch etwas feuchten Klamotten zum trocknen aus. Die Tür öffnet sich und verwundert blickt uns eine frohgelaunte junge Sennerin an. „Was macht ihr den hier? Paddel, Helm und Schwimmweste auf einer Alm??
Was habt ihr denn vor? Das habe ich auch noch nicht erlebt...“
Ein Bier bekommen wir natürlich sofort. Holger, als alter Franke auch sein Weizenbier. Der Tag, bzw. der Abend ist erst einmal gerettet. Eine ordentliche Vesperplatte bekommt ihr auch. Und schon ist die Sennerin wieder in der Alm verschwunden. Mit trocknen, warmen Klamotten am Leib und die Aussicht auf ein Abendessen sind wir happy. Auch wenn wir im Gepäck noch unser Tütenessen und die Flaschen Wein haben und diese umsonst hier hoch getragen haben. Das macht nichts. Der Abend ist einfach perfekt! Wir bekommen ein super Vesper serviert und dürfen sogar unser Nachtlager vor der Hütte aufbauen. Was für ein Luxus! Der Abendhimmel beschert uns einen irren Ausblick auf den Chiemsee. Super schön! Christoph und ich teilen uns die kleine Terrasse neben der Alm, Christian will sein kleines leichtes Biwak-Zelt ausprobieren und Holger legt sich zwischen die Biertische.
Schon bald klingt leichtes Schnarchen vor der Alm. Meine Träume beschäftigen sich mit wilden Stromschnellen, Strudeln und braunen wilden Wassermassen. Die Stromschnellen, damals in Kanada, kommen mir vor Augen und wühlen meine Träume auf. Oder als unser Kanu nach einer Stromschnelle umkippte unser Kameramann Jochen sein gutes Karbonstativ versenkte und ich einhändig schwimmend mit meiner Fototasche am weit ausgestreckten Arm zum rettenden Ufer schwamm...
Irgendwann ertönen die ersten zwitschernden Geräusche der Vögel, der neue Tag erwacht. Die Nacht ist trocken geblieben, der Wetterbericht hat sein Versprechen gehalten und mein dünner Schlafsack hatte mich auch vor der kühlen Nacht geschützt. Die anderen drei schlummern noch vor sich hin, aus dem kleinen Biwakzelt dringt ein gedämpftes Schnarchen...
Holger hatte Glück gehabt die Nacht..., war der Elektrozaun angeschlossen? Oder wusste die Kuh, dass dieser Zaun auch geladen sein kann und hatte ihre Morgentoilette mit etwas Abstand neben dem Zaun und Holgers Kopf abgeladen...
Das wär’s noch gewesen. Früh am Morgen, hatte die Sennerin schon ihre Kühe gemolken, der Generator brummte für kurze Zeit, dann war es wieder still. Auch ich schlummerte wieder ein.
In der Thermoskanne stand der heiße Kaffee, mit Brot, Butter und Käse schon auf dem Tisch bereit als wir aus unseren Schlafsäcken krochen. Was für ein Service! Nach dem Frühstück verließen wir diesen wunderbaren Ort und ein schmaler Wanderweg führte uns vorbei am Taubensee. Natürlich ohne ein kurzes erfrischendes Bad im See zu nehmen! Die Kühe hatten die Ruhe weg und gaben uns nur wiederwillig den kleinen Pfad frei der uns hinter ins Tal führte. Die Spannung in mir stieg von Schritt zu Schritt. Kurz hinter Kössen haben wir unseren Weg zur Tiroler Achen, vorbei, an einem Bogensport-Parcours gefunden. Der Wasserstand war Gott sei Dank nicht mehr so hoch wie am Vortag. Erleichterung in mir. Schnell wird noch der Kocher angeworfen und nach einer Kaffee-Runde fangen wir an unsere Packrafts auf zu pumpen und die restliche Ausrüstung zu verstauen. Holger und Christian haben neuere Packrafts, in denen über einen wasserdichten Reißverschluss einiges an Material vor dem Aufblasen in den Schlauchkammern verstaut werden kann. Das ist praktisch! Christian, Christof und Holger haben ihre Packrafts schon zu Wasser gelassen und starten durch. Mit geübten Paddelschlägen entfernen sie sich vom Ufer und verschwinden hinter der nächsten Flusskurve. Endlich habe ich Wasser unterm Kiel, es geht los und die Strömung bringt mich rasch vorwärts. Hinter der Flussbiegung sehe ich meine Profis im Kehrwasser auf mich warten. Von der Kanutour in Kanada weis ich noch, das dass Kehrwasser immer ein sicherer Hafen für Paddler ist. Und so ist es auch. Stück für Stück paddeln wir zusammen die Tiroler Achen hinunter. Wenn das Wasser immer wieder etwas „wilder“ wird schießt etwas Adrenalin in mein Blut und mit kurzen kräftigen Paddelschlägen kann ich mein kleines „Gummiboot“ um diese Stellen steuern. Ein kentern mit meiner Ausrüstung möchte ich tunlichst vermeiden!!!
Holger und Christian nehmen natürlich jede kleine wilde Stelle mit und lassen ihre Packrafts auf und ab hüpfen. Holger meint, das sie mit den Dingern schon Wildwasser Stufe 4 gepaddelt sind. Aber dafür bedarf es eine gehörige Portion Erfahrung und Können. Mir reicht dieser Anfang und es macht riesig Spaß! Das Highlight ist die durchfahrt an der „Entenlochklamm“. Hier ragen links und rechts der Tiroler Achen Felswände in die Höhe. An einer Stelle führt eine Hängebrücke über den Fluss. Eine geeignete Stelle für eine Rast. Große Rafting Boote mit mehreren Passagieren paddeln an uns vorbei. Nach einigen Kurven öffnet sich das Tal und der Flusslauf wird ruhiger und die Ufer flacher. Nur am vorbei ziehen der Ufervegetation sieht man, das die Strömung nach den kräftigen Regenfällen der Vortage noch sehr stark ist. Wir können uns jetzt auch gemütlich treiben lassen und kommen unserem Ausgangsziel am Parkplatz immer näher. Vom Wasser aus kommen wir an Stellen vorbei, da könnte man denken, wir befinden uns in der tiefsten Wildnis von Kanada. Ein Erlebnis! Brücken und Häuser tauchen vor uns auf und ich erkenne, das hinter der nächsten Kurve unsere Paddeltour mit den Packrafts zu Ende geht. Mit lahmen Armen trage ich mein Bötchen die paar Meter zum Parkplatz, wo wir am Vortag bei strömenden Regen gestartet sind. Christoph hat sich schon umgezogen und holt mit dem Bus unsere Mountainbikes ab. Wir lassen uns und unsere Ausrüstung auf der Wiese in der Sonne trocknen und genießen ein gekühltes alkoholfreies Bier...
Was für ein schönes kleines Abenteuer!
Kajak, Seekajack und Packraft-Kurse und Touren bietet Holger Heuber an.
Siehe: www.holger-heuber-abenteuer.de